Mittwoch, 10. August 2016

AKTUELL: Wann bekommt Spanien endlich wieder eine handlungsfähige Regierung?





Diese Frage dürften sich wohl zur Zeit fast alle Spanier stellen, auch wenn der August der typische Ferienmonat in Spanien ist und die Menschen sich lieber mit Sonnenbaden und Wassersport als mit harter Politik beschäftigen wollen.

Aber diese Frage brennt natürlich auf den Nägeln, denn seit Dezember 2015, dem Zeitpunkt der ersten Parlamentswahlen, regiert Mariano Rajoy nur noch mit einem verwaltenden Ministerrat, der aufgrund fehlenden parlamentarischen Rückhalts nur noch die notdürftigsten Beschlüsse fassen kann. So stehen etwa die Haushaltspläne für 2017 schon lange zur Entscheidung an, sie können aber ohne funktionierende Regierungsmehrheit nicht verabschiedet werden. Eine solche Unsicherheit ist natürlich für Investoren und Planer eine unhaltbare Situation und führt zu einem politischen und wirtschaftlichen Erstarren des Landes, was für den weiteren unbedingt notwendigen wirtschaftlichen Aufschwung reines Gift ist.  

Nach den Wahlen im Dezember 2015 ergab sich ein parlamentarisches Patt zwischen den Blöcken, und trotz fünfmonatiger Verhandlungen war es nicht möglich gewesen, eine stabile Regierungsmehrheit zusammen zubekommen. Also wurde am 26. Juni noch einmal gewählt, und die Partei, die als Gewinner der Wahlen hervorging, war die konservative PP unter Ministerpräsident Mariano Rajoy. Trotzdem langt es auch diesmal nicht zu einer Mehrheit, und es muß weiter verhandelt werden. 

Bereits im Dezember hatte sich herauskristallisiert, dass das bisher für Spanien seit Beginn der Demokratie in den 70iger Jahren vorherrschende Zwei-Parteien-System so nicht mehr würde funktionieren können. Durch die wirtschaftliche Krise ab 2007 mit ihren brutalen sozialen Folgen für weite Bereiche der Bevölkerung und der nach wie vor bestehenden geradezu krebsgeschwürartigen Korruption in allen Bereichen der Institutionen und der Gesellschaft gemeinhin entstanden zwei neue Parteien, die die Lehren aus diesen Missständen ziehen wollten. 

Zum einen die linksgerichtete Podemos, deren geistig-theoretischen Ursprünge in der südamerikanischen Bolivarischen Revolution liegen und die von dem Venezuela Chavez´und Maduros finanziell unterstützt wurden; sie ging aus den Massenprotesten und den Sitzstreiks an der Puerta de Sol in Madrid (sogenannte „indignados“, den Empörten) hervor, aus der zunächst die Bewegung „Movimiento 15-M“ und danach Podemos  entstanden sind. Angeführt wird die Partei von Pablo Iglesias, einem Dozenten für Politikwissenschaften an der Universität Complutense von Madrid. Sein tägliches Erscheinungsbild in den spanischen Medien hat ihn zum Gesicht der Partei und nach der Meinung vieler auch zum Alleinherrscher bei Podemos werden lassen. Obwohl als „neue politische Bewegung“ angetreten, setzten sich schnell die üblichen von den Altparteien her bekannten hierarchischen Strukturen mit dem allmächtigen Iglesias durch. Als drittstärkste Fraktion im Parlament nach den Wahlen im September versuchte Iglesias die spanischen Sozialisten (PSOE) mit harten Forderungen zu einem Linksbündnis zu überreden, jedoch kam es zu keiner Einigung und Podemos schloss sich für die Wahlen im Juni mit der Kommunistischen Partei Izquierda Unida zu der Partei Unidos Podemos zusammen. Die Ergebnisse im Juni führten wieder zur drittstärksten Fraktion, das Ziel, die PSOE zu überholen, wurde aber verfehlt.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums war die Partei Ciudadanos entstanden. Ursprünglich in Katalonien gegründet, um ein Gegenzeichen gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen der regionalnationalen Parteien (interessanterweise mit der Gallionsfigur Pep Guardiola, Ex-Trainer von Bayern München) zu setzen, weitete sich die Partei auf ganz Spanien aus. Die hauptsächlich von jungen Akademikern wie Anwälten, Ärzten etc. gegründete Partei wollte eine neue, linkskonservative, progressive und konstitutionelle Politik ohne Korruption und Vetternwirtschaft führen, die Spanien aus der Mißwirtschaft heraus fit machen wollte für das 21. Jahrhundert, ohne einem theoretisch-verbrämten ideologischen Überbau, der bei Podemos so charakteristisch ist.
Bei den Wahlen im Dezember 2015 konnte Ciudadanos 40 von insgesamt 350 Sitzen im spanischen Parlament erobern. Da ein Bündnis mit der PP nicht zu einer Mehrheit geführt hätte, enschied sich Ciudadanos mit Alberto Rivera an der Spitze für ein Bündnis mit der PSOE, was für eine Regierungsbildung aber noch nicht reichte. Verhandlungen mit Podemos konnten logischerweise zu keinem positiven Ergebnis führen, da die ideologischen Gegensätze unüberwindbar waren.
Bei den Neuwahlen im Juni 2016 verlor Ciudadanos 8 Sitze, was dem Bündnis mit der PSOE geschuldet war, denn viele Wähler von Ciudadanos wollten keine Sozialisten an der Regierung, weshalb sie wohl wieder zur PP zurückgekehrten.

In diesem Parteienspektrum mit einigen weiteren hauptsächlich regionalen Parteien ist eine Regierungsbildung schwer geworden, es müssen Koalitionen gebildet werden, auch wenn man dabei zwangsläufig Kompromisse bei seinem Wahlprogramm hinnehmen muss. Dies scheint aber die sozialistische PSOE noch nicht verstanden zu haben, da ihr Parteivorsitzender Pedro Sanchez sich weiterhin strikt weigert, wenigstens durch Stimmenthaltung einer Regierung von PP und Ciudadanos die Chance zur Bildung zu geben. Er sieht seine Partei weiterhin als einen direkten Gegenentwurf zur PP an, weshalb niemals eine wie auch immer geartete Zustimmung oder Enthaltung zur PP für ihn in Frage komme.

Dabei kommt er selbst aber langsam in seiner eigenen Partei in die Zwickmühle. Die großen, alten Barone der Partei wie Felipe Gonzalez, Hugo Chaves und andere merken auch allmählich, dass man Spanien nicht auf unbestimmte Zeit politisch blockieren kann, ohne selbst dabei Schaden zu nehmen. Und so haben sie bereits die parteiinterne Rivalin von Sanchez, Susana Díaz, Ministerpräsidentin von Andalusien, aufgefordert, offen gegen Sanchez anzutreten. Díaz selbst, deren Ego wesentlich größer als ihre politische Intelligenz zu sein scheint und die nur zu gern die Parteiführung und damit auch die Spitzenkandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten Spaniens übernehmen würde, zögert aber noch und hält sich bedeckt. Sie traut sich offenbar noch nicht, eine offene Kandidatur gegen Sanchez bei parteiinternen Vorwahlen (primarias) anzutreten, da sie sich über den Ausgang nicht sicher ist, insbesondere, wie ein solcher „Dolchstoß“ bei den Parteimitgliedern ankommt. Lieber wartet sie ab und sagt den Baronen: „Erst regelt die Angelegenheit mit Sanchez und dann können wir reden“. Durch diesen parteiinternen Konflikt scheint die PSOE aber für Regierungsverhandlungen auszuscheiden.

Es bleibt Rajoy also nichts anderes übrig, als mit Ciudadanos  weiter zu verhandeln, zu einer Einigung zu kommen und dann regionale Parteien mit in das Boot zu bekommen. Gelingt dies nicht, steht schon ein möglicher Termin für die dritten Parlamentswahlen am 27. November im Raum. Dies wäre allerdings eine Bankrotterklärung der spanischen Demokratie und würde die Politikverdrossenheit, die in Spanien sowieso schon vorherrscht, noch weiter in ungeahnte Höhen treiben. Ganz zu schweigen von den wirtschaftlichen Folgen für das Land.

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