Diese Frage dürften sich wohl zur
Zeit fast alle Spanier stellen, auch wenn der August der typische Ferienmonat
in Spanien ist und die Menschen sich lieber mit Sonnenbaden und Wassersport als
mit harter Politik beschäftigen wollen.
Aber diese Frage brennt natürlich
auf den Nägeln, denn seit Dezember 2015, dem Zeitpunkt der ersten
Parlamentswahlen, regiert Mariano Rajoy nur noch mit einem verwaltenden
Ministerrat, der aufgrund fehlenden parlamentarischen Rückhalts nur noch die
notdürftigsten Beschlüsse fassen kann. So stehen etwa die Haushaltspläne für
2017 schon lange zur Entscheidung an, sie können aber ohne funktionierende
Regierungsmehrheit nicht verabschiedet werden. Eine solche Unsicherheit ist
natürlich für Investoren und Planer eine unhaltbare Situation und führt zu
einem politischen und wirtschaftlichen Erstarren des Landes, was für den
weiteren unbedingt notwendigen wirtschaftlichen Aufschwung reines Gift ist.
Nach den Wahlen im Dezember 2015 ergab
sich ein parlamentarisches Patt zwischen den Blöcken, und trotz fünfmonatiger
Verhandlungen war es nicht möglich gewesen, eine stabile Regierungsmehrheit
zusammen zubekommen. Also wurde am 26. Juni noch einmal gewählt, und die
Partei, die als Gewinner der Wahlen hervorging, war die konservative PP unter
Ministerpräsident Mariano Rajoy. Trotzdem langt es auch diesmal nicht zu einer
Mehrheit, und es muß weiter verhandelt werden.
Bereits im Dezember hatte sich
herauskristallisiert, dass das bisher für Spanien seit Beginn der Demokratie in
den 70iger Jahren vorherrschende Zwei-Parteien-System so nicht mehr würde
funktionieren können. Durch die wirtschaftliche Krise ab 2007 mit ihren brutalen
sozialen Folgen für weite Bereiche der Bevölkerung und der nach wie vor
bestehenden geradezu krebsgeschwürartigen Korruption in allen Bereichen der
Institutionen und der Gesellschaft gemeinhin entstanden zwei neue Parteien, die
die Lehren aus diesen Missständen ziehen wollten.
Zum einen die linksgerichtete
Podemos, deren geistig-theoretischen Ursprünge in der südamerikanischen
Bolivarischen Revolution liegen und die von dem Venezuela Chavez´und Maduros
finanziell unterstützt wurden; sie ging aus den Massenprotesten und den
Sitzstreiks an der Puerta de Sol in Madrid (sogenannte „indignados“, den
Empörten) hervor, aus der zunächst die Bewegung „Movimiento 15-M“ und danach
Podemos entstanden sind. Angeführt wird
die Partei von Pablo Iglesias, einem Dozenten für Politikwissenschaften an der
Universität Complutense von Madrid. Sein tägliches Erscheinungsbild in den
spanischen Medien hat ihn zum Gesicht der Partei und nach der Meinung vieler
auch zum Alleinherrscher bei Podemos werden lassen. Obwohl als „neue politische
Bewegung“ angetreten, setzten sich schnell die üblichen von den Altparteien her
bekannten hierarchischen Strukturen mit dem allmächtigen Iglesias durch. Als
drittstärkste Fraktion im Parlament nach den Wahlen im September versuchte
Iglesias die spanischen Sozialisten (PSOE) mit harten Forderungen zu einem
Linksbündnis zu überreden, jedoch kam es zu keiner Einigung und Podemos schloss
sich für die Wahlen im Juni mit der Kommunistischen Partei Izquierda Unida zu
der Partei Unidos Podemos zusammen. Die Ergebnisse im Juni führten wieder zur
drittstärksten Fraktion, das Ziel, die PSOE zu überholen, wurde aber verfehlt.
Auf der anderen Seite des
politischen Spektrums war die Partei Ciudadanos entstanden. Ursprünglich in
Katalonien gegründet, um ein Gegenzeichen gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen
der regionalnationalen Parteien (interessanterweise mit der Gallionsfigur Pep
Guardiola, Ex-Trainer von Bayern München) zu setzen, weitete sich die Partei
auf ganz Spanien aus. Die hauptsächlich von jungen Akademikern wie Anwälten,
Ärzten etc. gegründete Partei wollte eine neue, linkskonservative, progressive
und konstitutionelle Politik ohne Korruption und Vetternwirtschaft führen, die
Spanien aus der Mißwirtschaft heraus fit machen wollte für das 21. Jahrhundert,
ohne einem theoretisch-verbrämten ideologischen Überbau, der bei Podemos so
charakteristisch ist.
Bei den Wahlen im Dezember 2015
konnte Ciudadanos 40 von insgesamt 350 Sitzen im spanischen Parlament erobern.
Da ein Bündnis mit der PP nicht zu einer Mehrheit geführt hätte, enschied sich
Ciudadanos mit Alberto Rivera an der Spitze für ein Bündnis mit der PSOE, was
für eine Regierungsbildung aber noch nicht reichte. Verhandlungen mit Podemos
konnten logischerweise zu keinem positiven Ergebnis führen, da die
ideologischen Gegensätze unüberwindbar waren.
Bei den Neuwahlen im Juni 2016
verlor Ciudadanos 8 Sitze, was dem Bündnis mit der PSOE geschuldet war, denn
viele Wähler von Ciudadanos wollten keine Sozialisten an der Regierung, weshalb
sie wohl wieder zur PP zurückgekehrten.
In diesem Parteienspektrum mit
einigen weiteren hauptsächlich regionalen Parteien ist eine Regierungsbildung
schwer geworden, es müssen Koalitionen gebildet werden, auch wenn man dabei
zwangsläufig Kompromisse bei seinem Wahlprogramm hinnehmen muss. Dies scheint
aber die sozialistische PSOE noch nicht verstanden zu haben, da ihr
Parteivorsitzender Pedro Sanchez sich weiterhin strikt weigert, wenigstens
durch Stimmenthaltung einer Regierung von PP und Ciudadanos die Chance zur
Bildung zu geben. Er sieht seine Partei weiterhin als einen direkten
Gegenentwurf zur PP an, weshalb niemals eine wie auch immer geartete Zustimmung
oder Enthaltung zur PP für ihn in Frage komme.
Dabei kommt er selbst aber
langsam in seiner eigenen Partei in die Zwickmühle. Die großen, alten Barone
der Partei wie Felipe Gonzalez, Hugo Chaves und andere merken auch allmählich,
dass man Spanien nicht auf unbestimmte Zeit politisch blockieren kann, ohne
selbst dabei Schaden zu nehmen. Und so haben sie bereits die parteiinterne
Rivalin von Sanchez, Susana Díaz, Ministerpräsidentin von Andalusien,
aufgefordert, offen gegen Sanchez anzutreten. Díaz selbst, deren Ego wesentlich
größer als ihre politische Intelligenz zu sein scheint und die nur zu gern die
Parteiführung und damit auch die Spitzenkandidatur für das Amt des
Ministerpräsidenten Spaniens übernehmen würde, zögert aber noch und hält sich
bedeckt. Sie traut sich offenbar noch nicht, eine offene Kandidatur gegen
Sanchez bei parteiinternen Vorwahlen (primarias) anzutreten, da sie sich über
den Ausgang nicht sicher ist, insbesondere, wie ein solcher „Dolchstoß“ bei den
Parteimitgliedern ankommt. Lieber wartet sie ab und sagt den Baronen: „Erst
regelt die Angelegenheit mit Sanchez und dann können wir reden“. Durch diesen
parteiinternen Konflikt scheint die PSOE aber für Regierungsverhandlungen
auszuscheiden.
Es bleibt Rajoy also nichts
anderes übrig, als mit Ciudadanos weiter
zu verhandeln, zu einer Einigung zu kommen und dann regionale Parteien mit in
das Boot zu bekommen. Gelingt dies nicht, steht schon ein möglicher Termin für
die dritten Parlamentswahlen am 27. November im Raum. Dies wäre allerdings eine
Bankrotterklärung der spanischen Demokratie und würde die
Politikverdrossenheit, die in Spanien sowieso schon vorherrscht, noch weiter in
ungeahnte Höhen treiben. Ganz zu schweigen von den wirtschaftlichen Folgen für
das Land.
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